„Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen“ (Psalm 22,2 Schlachter 2000)
„Aber von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde.
Und um die neunte Stunde rief Jesus mit lauter Stimme: Eli, Eli, lama sabachthani, das heißt: ‚Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?'“ (Matthäus 27,45-46 Schlachter 2000)
Verlassen! Ein verzweifelter Ausruf der Einsamkeit. So eindeutig und doch so rätselhaft für uns. Denn wie kann es sein, dass der Sohn Gottes von Gott verlassen war? Wenn man dann Psalm 22 ganz liest, in dem dieser Ausruf steht und berücksichtigt, dass Psalm 22 etwa 1000 Jahre vorher geschrieben wurde, dann zuckt man unwillkürlich zusammen. Dieser Psalm liest sich wie eine Beschreibung der Kreuzigung aus Sicht des Gekreuzigten. Insbesondere die Verse 15-18 passen perfekt zu dem, was eine Kreuzigung dem Körper einer Menschen antut. Psalm 22,19 ist dann erfüllt in Matthäus 27,35 (und auch Markus 15,24; Johannes 19,24).
Aber wie kann das sein, dass der Sohn Gottes ausruft, dass er von Gott verlassen ist? Wie kann es sein, dass Jesus Christus das ausruft? Wie kann es sein, dass er sich in dieser Finsternis befindet? Denn von der sechsten bis zur neunten Stunde kam ja eine Finsternis über das Land (also von 12-15 Uhr). Es ist nicht eine Finsternis durch starke Bewölkung und es ist auch keine Sonnenfinsternis, denn diese dauert niemals so lange. Die Finsternis, um die es hier geht, ist die Finsternis der Sünde. Die Sünde der Menschheit verdunkelt Gottes Herrlichkeit. Als der Herr Jesus Christus am Kreuz hängt, wird diese Finsternis sichtbar, weil er am Kreuz für alle Sünden bezahlt hat.
Er, der von keiner Sünde wusste, wurde für uns zur Sünde gemacht (2.Korinther 5,21). Deshalb kommt diese Finsternis über das Land. Dem Sohn Gottes wurden dort am Kreuz von Golgatha alle Sünden aufgeladen und er hat sie getragen und mit seinem Blut dafür bezahlt.
Paulus beschreibt das im Brief an die Kolosser so:
„Er hat uns errettet aus der Herrschaft der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich des Sohnes seiner Liebe, in dem wir die Erlösung haben durch sein Blut, die Vergebung der Sünden.“ (Kolosser 1,13-14 Schlachter 2000)
Damit er die Menschen aus der Finsternis befreien konnte, musste er selbst, das Licht der Welt (Johannes 8,12 und 1,9) in diese Finsternis gehen. Er wurde zur Sünde gemacht (2.Korinther 5,21) und hat sich für uns unter den Zorn Gottes begeben. Denn dieser Zorn Gottes liegt über jedem Menschen:
„Denn es wird geoffenbart Gottes Zorn vom Himmel her über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, welche die Wahrheit durch Ungerechtigkeit aufhalten.“ (Römer 1,180 Schlachter 2000).
Wir leben alle unter dem Zorn Gottes, weil wir alle Sünder sind und jeden Tag sündigen. Doch weil Gott uns erlösen wollte von diesem Zorn, hat er seinen Sohn gesandt, der an unserer Stelle diesen Zorn getragen hat. Das führt zu einer herrlichen Feststellung:
„Christus hat uns losgekauft von dem Fluch des Gesetzes, indem er ein Fluch wurde um unsertwillen“ (Galater 3,13 Schlachter 2000).
Ich nenne das den großen Tausch: Er, der von keiner Sünde wusste, wurde für uns zur Sünde gemacht (2.Korinther 5,21). Er, der selbst das Licht ist, ist in die Finsternis gegangen, um uns aus der Finsternis zu erlösen (Kolosser 1,13-14). Er, der selbst völlig sündlos und gerecht gelebt hat, begab sich unter den Zorn Gottes und wurde zum Fluch, damit wir von dem Fluch erlöst werden können (Galater 3,13). Jeder, der sich nun auf dieses Tauschgeschäft einlässt, wird gerettet werden. Jeder, der Buße tut, seine Sünden bekennt und glaubt, dass Jesus Christus für seine Sünden dort am Kreuz bezahlt hat, der wird erlöst werden.
Vielleicht verstehen wir nun auch besser, warum der Sohn Gottes ausrief „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ (Matthäus 25,46). Gott konnte nicht an diesem Ort bleiben, denn der Sohn Gottes wurde zur Sünde gemacht (2.Korinther 5,21) und wurde zum Fluch gemacht (Galater 3,13) und er trug den Zorn Gottes und die Strafe, die wir eigentlich verdient hätten (Jesaja 53,5). Gott kann die Sünde nicht akzeptieren und kann sich nicht mit der Sünde arrangieren. Deshalb kam die Finsternis und deshalb musste Gott ihn verlassen.
Nun gibt es aber eine wichtige Sache, die unbedingt noch klargestellt werden muss: Gott verlässt niemals einen Gläubigen! Jesus Christus hat die Schuld bezahlt und hat die Strafe auf sich genommen. Deswegen muss keiner, der an ihn glaubt, jemals wieder in diese Finsternis und unter den Zorn Gottes. Wer zu Jesus gehört, darf wissen, dass nichts und niemand uns von Gottes Liebe trennen kann.
Das ist ein christliches Grundgesetz und kann niemals verändert werden und wir finden das in der Bibel genauso bestätigt:
„35 Wer will uns scheiden von der Liebe des Christus? Drangsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? ….. 38 Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, 39 weder Hohes noch Tiefes noch irgendein anderes Geschöpf uns zu scheiden vermag von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“ (Römer 8,35+38-39 Schlachter 2000)
Wenn wir die Tragweite dieser Zusage begriffen haben, werden wir niemals mehr Angst haben, dass Gott uns verlassen könnte, wenn wir zu Jesus gehören. Niemand, der von Jesus Christus erlöst ist, kann jemals wieder von Gott verlassen werden. Dann wäre die Heilige Schrift falsch und Gott ein Lügner und das kann nicht sein!
Wir können in der Heiligen Schrift auch Beispiele dafür finden, wo Gläubige die Nähe Gottes erlebt haben, als es nach menschlichen Maßstäben zu Ende war. Das haben die drei Gläubigen im Feuerofen erlebt (Daniel 3) und das hat auch Stephanus erlebt. Stephanus war ja der erste Märtyrer der Christenheit und kurz vor der Steinigung durfte er die Nähe Gottes auf eine sehr direkte Art erfahren: Er sah den Himmel offen und Christus zur Rechten Gottes sitzen (Apostelgeschichte 7,56). Etwas Größeres kann kein Mensch auf dieser Erde sehen. Etwas Herrlicheres kann kein Mensch in diesem Leben erfahren. Ein drittes Beispiel finden wir im 2.Korintherbrief, wo Paulus bezeugt: „wir werden verfolgt, aber nicht verlassen“ (2.Korinther 4,9 Schlachter 2000). Das schreibt jemand, der es wissen muss, denn er wurde gesteinigt, geschlagen, fortgejagt, eingesperrt und immer wieder versuchte man ihn zu ermorden.
Kommen wir nun aber zurück zu unserem Text in Matthäus 27,46 und damit zum Herrn Jesus Christus, der am Kreuz die ganze Gottverlassenheit eines Sünders tragen musste, obwohl er selbst sündlos war.
Wie gehen wir nun mit all diesem Wissen um? Was ziehen wir für Konsequenzen aus dem Wissen um das schreckliche Leiden unseres Herrn Jesus Christus am Kreuz? Ist uns eigentlich bewusst, wie groß dieses Leiden gewesen sein muss? Er klagt ja kein einziges Mal über Schmerzen. Doch die Schmerzen müssen unmenschlich gewesen sein. Ein Nagel steckte in seinen Beinen und 2 Nägel in seinen Handgelenken. Er hing am Kreuz und konnte nur schwer atmen. Schreckliche Wellen von Schmerzen und Atemnot wechselten sich ab. Doch das war nicht seine größte Not, sondern er hatte nur mit einem wirklich zu kämpfen: Er, der niemals in der Ewigkeit außerhalb des Lichts war und der als Gottes Sohn nie vom Vater getrennt war, erlebt nun die Finsternis und Gottverlassenheit der Sünde. Nur das war schlimm genug für ihn für diesen Ausruf des blanken Entsetzens: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“.
Wenn wir das begreifen, dann sollten wir die Sünde umso ernsthafter bekämpfen und nicht zulassen, dass sie in unserem Leben Raum gewinnen kann. Wir müssen täglich gegen „die Fleischeslust, die Augenlust und den Hochmut des Lebens“ kämpfen (1.Johannes 2,16). Wir müssen täglich im Geist wandeln, damit wir die Werke des Fleisches nicht vollbringen (Galater 5,16). Wir sollen bis aufs Blut der Sünde widerstehen (Hebräer 12,4). Wenn wir doch einmal fallen, so dürfen wir aber auf seine Gnade vertrauen und sollen so schnell wie möglich zurückkommen und unsere Sünde bekennen (1.Johannes 1,9).
Diese Gnade darf für uns aber nicht der Anlass sein, die Sünde auf die leichte Schulter zu nehmen, denn sie hat den Sohn Gottes sogar die Verbundenheit mit Gott, dem Vater gekostet. Das sollte uns davon abhalten, leichtfertig mit der Sünde zu spielen.